Buchbesprechung: Mein Malta – Gestern und Heute

Anke Jablinskis Malta gibt es noch: Es will nur entdeckt werden

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Die Verfasserin nennt ihr Buch "Mein Malta", und viele brauchen wahrscheinlich nach der Lektüre etwas Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass das Malta von Anke Jablinski, so wie sie es uns nahebringt, wirklich existiert – heute, im Jahr 2020. Das hängt damit zusammen, dass die Autorin bei Fertigstellung der vorliegenden Ausgabe schon rekordverdächtige 64 Mal in Malta war und auf dem besten Wege ist, einmal sprichwörtlich jeden Winkel des Archipels erkundet zu haben. Auch fand ihre erste Bekanntschaft mit der Inselrepublik schon 1987 statt, und in den letzten drei Jahrzehnten hat Malta sein Gesicht stark verändert. Jablinski hat den meisten Malta-Besuchern demnach etwas voraus. Und noch mehr jenen, die Malta bisher nur aus der aktuellen Ausgabe eines kompakten Reiseführers kennen.

Noch etwas dürfte viele Leser überraschen: Für die Berlinerin ist Malta über die Jahrzehnte, wie sie bekennt, zu einem "Zufluchtsort" geworden, "wenn ich nach viel Arbeit, Lautstärke, Hektik und Stress in der deutschen Hauptstadt den maltesischen Archipel bereiste". Zufluchtsort, "Malet", so haben schon die Phönizier Malta genannt.

Zufluchtsort? Malta, ein Ort zum sich Zurückziehen? Einer der am dichtesten besiedelten Staaten der Welt? Sicher – viele verbringen hier einen schönen Badeurlaub, tanken Sonne, lernen Kulturdenkmäler von Weltrang kennen und profitieren von einer vielfältigen touristischen Infrastruktur, die vom Budgethotel bis zur Luxusherberge, vom Fast-Food- bis zum Event-Restaurant jedem Bedarf gerecht wird. Aber Zuflucht? Rückzug?

In "Mein Malta" begegnen uns tatsächlich solche Zufluchts- und Rückzugsorte auf Malta und erst recht auf Gozo. Die touristischen Zentren spielen in dem Buch dagegen kaum eine Rolle. St. Julian's mit seiner Flanier- und Amüsierpromenade kommt nur am Rande, die Touristen-Zentren Buġibba und Qawra kommen gar nicht vor. Stattdessen begleiten wir die Autorin häufiger in den Süden Maltas mit Qrendi, Birżebbuġa, Marsaskala und dem Fischerstädtchen Marsaxlokk (Kapitel: „Hafen der Winde“, Seite 77ff1) und in den Norden mit Mellieħa (Kapitel: „Von Honig und Salz“, Seite 99 ff). Aber auch diese Orte sind für die Autorin wiederum Ausgangspunkt für weitere Erkundungen ins Hinterland, das sie sich ohne Scheu vor Linksverkehr und temperamentvoll-südländischer Fahrweise mit den unterschiedlichsten Leihwagen erschließt und allzu oft zu Fuß erwandert.

Und immer wieder macht uns Jablinski mit der Geschichte des Archipels vertraut. Wobei für sie, die sich während eines Studiums mit Ur- und Frühgeschichte befasst hat, die prähistorischen, bis zu 6000 Jahre alten Tempelanlagen auf Malta und Gozo im Zentrum stehen und die Tempelbauer, über die wir so wenig wissen. Jablinski hat in dem Buch einiges von dem zusammengetragen was Archäologen herausgefunden haben und lässt uns gleichzeitig teilhaben an persönlichen Eindrücken und ihren meditativen Betrachtungen über die Tempelmenschen und ihre Kultur, deren Eintritt in die Menschheitsgeschichte für uns noch genauso geheimnisvoll und ungeklärt ist wie deren abruptes Verschwinden. Natürlich geht Anke Jablinski auch auf die anderen Epochen der maltesischen Geschichte ein, anhand der Stätten und Städte, die die Autorin besucht hat, wie etwa Valletta (Seite 55 ff) und Mdina (Kapitel: „Eine Märchenstadt bei Vollmond“, Seite 83 ff).

Das Ganze wirkt aber an keiner Stelle belehrend. Vielmehr sind auch die Informationen zur Geschichte Maltas eingebunden in oft anekdotische, im Stil eines Reisetagebuches verfasste Essays, die meistens einen Ausflug zum Ausgangspunkt haben. Dabei bringt uns Jablinski auch immer in Kontakt mit Inselbewohnern: Ihre Freunde Renzo – bei ihm hatte sie in Berlin ihre ersten Maltesisch-Stunden genommen – und seine deutsche Frau Inge sind ein häufiger Anlaufpunkt für den Austausch über das Erlebte. Weil sie Maltesisch (Malti) gelernt hat2, kommt Jablinski aber auch unterwegs noch leichter als "Normalreisende" mit Maltesern und Gozitanern ins Gespräch: Zum Beispiel mit Bauern, ja - auch mit Jägern oder mit Besitzern winziger Pubs und Bars. Es gibt auch Begegnungen mit tierischen Bewohnern, vor allem Hunden, Katzen und Spatzen. Einmal, auf Gozo, wird ein Hund sogar ihr Begleiter, sozusagen per Anhalter, der im Badeort Marsalforn zu ihr ins Auto springt und bis ans andere Ende, dem fjördähnlichen Xlendi mitfährt und – wir wollen nicht zu viel verraten – seinem rechtmäßigen Besitzer dennoch nicht verloren geht.

Zur nicht-alltäglichen Aufmachung des Reisebuches dieser künstlerisch vielseitigen Autorin gehören ihre kurzen, zwischen die Kapitel eingestreuten Gedichte, Abbildungen von einigen ihrer Aquarelle, Ölgemälde und Ölkreidezeichnungen sowie Fotos von Menschen, Landschaften und Orten, wie man sie kaum in einem konventionellen Reiseführer zu sehen bekommt. Die meisten Aufnahmen liegen Jahrzehnte zurück und sind damit auch Zeitzeugnisse der 80er Jahre.

Ich wollte den Archipel richtig gut kennenlernen, jeden auch nur erdenklichen Winkel erkunden

Das letzte Kapitel – "Every Little Path | Jeder kleinste Pfad" – erzählt von einem ehrgeizigen Projekt: "Ich wollte den Archipel richtig gut kennenlernen, jeden auch nur erdenklichen Winkel erkunden". Ihre Methode: Mit dem Auto einen Stützpunkt anfahren und von dort loslaufen, meilenweit, und wieder zum Auto zurück. An einem Tag läuft sie quer über die Insel Malta von St. Julians bis Marsaxlokk und nimmt den Bus nur, um von dort wieder zurück zu kehren. Sie erläuft sich das kleine Comino und die Nachbarinsel Gozo. "Ich lief und lief… fast wie eine Besessene", heißt es an einer Stelle. Schon das Lesen des Kapitels macht atemlos und man muss aufpassen, dass man nicht die Übersicht verliert, bei der schieren Menge an Orten und landschaftlichen Attraktionen, die aufgezählt und – wenn auch nur knapp – beschrieben werden. Auch wenn man berücksichtigt, dass Malta mit seinen Nachbarinseln nicht größer ist als der Stadtstaat Bremen (also Bremen und Bremerhaven), hat man Respekt vor diesem Projekt. Immerhin besteht die Inselrepublik aus 68 Städten und Gemeinden.

Unwillkürlich ertappt man sich dabei, die Namen der erwähnten Orte, Landschaften, Aussichtspunkte zu notieren und sich einen Plan zu machen, um auch selbst einmal, vielleicht nicht "Jeden kleinsten Pfad", zumindest aber möglichst viele Pfade auf den maltesischen Inseln zu erkunden. Eigene Notizen sind nützlich, denn "Mein Malta" ist nicht als strukturierter Reiseführer angelegt. Es kostet also etwas Mühe, will man aus den kurzweiligen Reisebeschreibungen einer Maltaverliebten Honig saugen für den eigenen nächsten Besuch der "Honiginseln", wie diese auch oft genannt werden. Aber die Mühe lohnt.

Bleibt die Frage, ob es dieses Malta, so wie wir es in dem Buch kennenlernen, überhaupt gibt oder noch gibt. Denn von Anke Jablinskis erstem Besuch bis heute hat sich die Einwohnerzahl noch um etwa ein Drittel auf jetzt über 460.0000 erhöht (mehr als 1400 auf den Quadratkilometer), mit allen nachteiligen Auswirkungen auf Verkehrsdichte und Bebauungsdichte. Und dennoch: Ja man findet noch diese Zufluchts- und Rückzugsorte - nicht nur auf der sich nur langsam verändernden Insel Gozo.

Ein Foto (Seite 148) kann dafür, stellvertretend für andere als Beleg gelten. Es zeigt die Kapelle von St. Paul dem Einsiedler auf einem Felsvorsprung im Wied il-Għasel, dem Honigtal. Wer im dichten Verkehr durch die lebhafte Stadt Mosta auf Malta gefahren ist, um sich die Rotunda, das ist die Kirche mit der riesigen Kuppel, anzusehen, wird dieses wie eine Schlucht geformte Tal vielleicht schon überquert haben, ohne es überhaupt wahrgenommen zu haben. Dabei ist es eines der schönsten und größten auf Malta. Das Bild macht Lust, einmal in dieses Tal hinein zu wandern, und noch so vieles mehr zu erkunden, an Landschaften, Dörfern und Städten, die in dem Buch abgebildet, beschrieben oder zumindest erwähnt werden.

Also kommen nicht nur Leser, die Malta auch schon „von früher“ her kennen und gerne nostalgisch Erinnerungen auffrischen wollen, auf ihre Kosten, sondern auch Neugierige, die die vielen über die Kapitel verstreuten Beschreibungen und Erwähnungen zum Anlass nehmen, den eigenen Reiseplan auszuarbeiten. Dank Maps, Apps und Wikis und, wer nicht Selbstfahrer sein will, den Streckenfahrplänen des Linienbusnetzes, ist das ja heute sehr viel einfacher als in den 80er Jahren. Doch auch, wenn man noch keine Pläne hat: Ein Lesevergnügen ist "Mein Malta" allemal.


1Die Seitenangaben beziehen sich auf die Paperback-Ausgabe.

2Siehe unser Interview „Was eine Berlinerin dazu brachte, die maltesische Sprache zu lernen“

Anke Jablinski
MEIN MALTA - Gestern und heute
ErlebnisMalta 1
Verlag: p.machinery, Winnert

Dezember 2019, 180 Seiten
(davon 98 in Farbe)

Paperback: ISBN 978 3 95765 179 2
EUR 25,90 (DE)

Hardcover: ISBN 978 3 95765 176 1
EUR 37,90 (DE)

E-Book: ISBN 978 3 95765 911 8
EUR 9,99 (DE) (in Vorbereitung)

Verlagsangaben.

Was sich noch über dieses Buch sagen lässt…

Vorgeschichte: „Die allererste Version habe ich in den Jahren 1992-1994 zu Papier gebracht", schreibt Anke Jablinski. Nach zwei Anläufen – ein Verlag blieb in seiner bisherigen Form nicht bestehen. Der Druck wurde gestoppt – brachte sie das Buch erstmalig 2009 im Selbstverlag heraus, noch unter dem Titel "Zufluchtsort Malta. Ein persönlicher Reiseführer". Es folgte eine Überarbeitung, bereits mit dem aktuellen Titel „Mein Malta – Gestern und heute“. Die jetzt beim Verlag p.machinery erschienene Ausgabe ist eine weitere Überarbeitung. Sie profitiert vor allem von Notizen am Seitenrand, mit denen die Angaben im Text ergänzt und/oder auf den aktuellen Stand gebracht werden.

Auf den letzten Seiten… finden Leser eine Zeittafel zur Geschichte Maltas, ein dreiteiliges Quellenverzeichnis mit Fach- und Sekundärliteratur, Belletristik und – eine Besonderheit – Literatur zum Erlernen der maltesischen Sprache. Des Weiteren: Die allernötigsten Hinweise zur Aussprache von Buchstaben im Malti-Alphabet, die im Deutschen nicht vorkommen. Malti ist ja die einzige semitische Sprache, die das lateinische Alphabet verwendet. Die Vita der Autorin wird ebenfalls im Überblick dargestellt.

Auch ein Empfehlungsschreiben von Maltas Botschafter in Berlin, Dr. Albert Friggieri, wird in dem Buch wiedergegeben. Es soll Anke Jablinski dabei unterstützen, einen Verlag zu finden, eine Suche, die ja inzwischen von Erfolg gekrönt ist. Dr. Albert Friggieri brauchte übrigens keinen Übersetzer, um das Buch zu lesen. Er hat u. a. in Heidelberg studiert und promovierte an der University of Exeter über Schillers Dramen-Fragment „Die Maltheser“. Doch das ist eine andere schöne Geschichte.

Mehr über Anke Jablinski erfahren Sie in unserem Interview: „Was eine Berlinerin dazu brachte, die maltesische Sprache zu lernen“

Every Little Bar (eine Randnotiz)

Anke Jablinski erwähnt in ihrem Buch gelegentlich und meistens eher beiläufig auch Restaurants und Bars, die sie während oder nach Ausflügen besuchte. In der Gastronomie mit ihrer großen Fluktuation machen sich Veränderungen in einem Reiseland natürlich besonders schnell bemerkbar. Wie die Verfasserin in ihrem Vorwort rückblickend erwähnt, gehören einige Restaurants und Bars schon lange der Vergangenheit an. Umso mehr fühlt man sich als Leser herausgefordert, einmal solche im Buch genannten Bars, Cafés und Restaurants herauszusuchen, die auch heute noch existieren. Wir fanden einige Beispiele: Tony's Bar in Sliema (gegründet 1922), The Apple's Eye (Golden Bay, existiert seit den 50ern), Fontanella (Mdina), Das Restaurant im Xara Palace (Mdina), Caffe Cordina Valletta (eine Ikone) und auf Gozo Pizza Stop (ein gastronomisches Kiosk etwas außerhalb von Marsalforn).

Im „Prolog“ (Seite 17) findet man auch einen sympathischen Lobgesang auf die typische maltesische Bar, wie man sie leider immer seltener antrifft. Es handelt sich um eine Hafenkneipe, mit einem „lustig tanzenden“, weil wackligen Holztisch.

Jahr für Jahr und Reise für Reise, war es gerade die Einfachheit, die ich so gemütlich fand! Hier kam keiner, der einem die Serviette auf den Schoß legte, ständig den Aschenbecher ausleerte oder einem die Tasse wegnahm, noch bevor man ausgetrunken hatte, niemand, der mit einer riesengroßen Pfeffermühle herangeeilt kam, wie es in den besseren Restaurants üblich ist. Die Malteser, die hier arbeiteten, machten ihren Job, aber sie ließen einen einfach in Ruhe, mit dieser schönen Leichtigkeit des Seins.

Das nachzuempfinden, fällt nicht schwer.