Constellation Malta

Zeitgenössische Kunst an historischen Orten

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Noch bis 9. Dezember wird "Constellation Malta" gezeigt, die letzte große internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst des Kulturhauptstadt-Jahres "Valletta 2018". Deren Objekte sind wie Sterne in einem Sternbild auf historische Stätten, Kirchen und Museen auf Malta, Gozo und Comino verteilt. Weil die meisten der zehn Knotenpunkte dieser Konstellation auch zu den Hauptsehenswürdigkeiten der maltesischen Inseln gehören, kann man — ganz Kulturtourist — seinem Besichtigungsplan folgen. Und sich gleichzeitig hineinziehen lassen in die Interventionen maltesischer und internationaler Künstlerinnen und Künstler.

Für Constellation Malta hat sich die Valletta 2018 Foundation Rosa Martinez als Kuratorin geholt. Die Spanierin leitete 2005 als erste Frau die internationale Ausstellung der Biennale in Venedig. Martinez hat die Ausstellungsorte sehr zurückhaltend bespielen lassen. Das kann man als Demut werten, angesichts der Bedeutung der Orte, darunter die über 5000 Jahre alten neolithischen Tempelanlagen.

Demutsvoll zurückhaltend …

Dieses Zurücknehmen lässt sich zumindest an den vier von Valletta | Das Journal besuchten Stätten feststellen. Tritt "Constellation Malta" im Fort. St. Elmo in Valletta mit vier Installationen oder in der kleinen Vallettaner Kirche St. Mary Magdalene mit den Klangschalen der Südkoreanerin Kyung-Jin Cho noch wahrnehmbar auf, muss man etwa im Nationalen Archäologischen Museum von Valletta sprichwörtlich zweimal hinschauen, um die minimalistischen Stickereien der Spanierin Tania Berta Judith zu entdecken. Auch im Naturkundemuseum in Mdina (National Museum of Natural History) mit seiner verwinkelten Architektur nutzt Constellation Malta nur einen Raum, und das für zwei ganz unterschiedliche Kunstwerke, ein Video der international verorteten Performance-Künstlerin Marina Abramović und eine Fotoausstellung des Malta Fancy Poultry and Pigeon Club.

… doch bisweilen zeitfordernd und komplex

Bei aller Zurückhaltung kann Constellation Malta bisweilen sehr fordern. Zumindest sollte man etwas Zeit mitbringen. Das Video von Marina Abramović verlangt, wenn man denn alle Geschichten dieser "Confession" erleben will, 60 Minuten. Die beiden Videos von Forensic Architecture zu den Konflikten zwischen Staaten und Seenot-Rettungsschiffen von NGOs im Mittelmeer (Fort St. Elmo) dauern auch je etwa eine halbe Stunde. Für auf jeweils eigene Art sehr komplexe Themen.

Constellation Malta will die Sleeping Lady in uns wecken. Die Original-Figur aus dem Hypogäum von Hal-Saflieni wird im National Museum of Archaeology in Valletta gezeigt. Foto: Hamelin de Guettelet [CC BY-SA 3.0], from Wikimedia Commons.

Constellation Malta will die Sleeping Lady in uns wecken. Die Original-Figur aus dem Hypogäum von Hal-Saflieni wird im National Museum of Archaeology in Valletta gezeigt. Foto: Hamelin de Guettelet [CC BY-SA 3.0], from Wikimedia Commons.

Die Schlafende Lady in uns wecken

Rosa Martinez präsentiert uns mit Constellation Malta eine überaus weibliche Ausstellung. Das zeigt sich nicht nur daran, dass die Mehrheit der Ausstellenden Frauen sind, sondern auch im künstlerischen Anspruch. Die Ausstellung möchte den weiblichen "Spirit" zurückbringen. Das sagte Martinez in der Sendung Kultura News des maltesischen (öffentlich-rechtlichen) Fernsehsenders TVM, und damit meint sie "den weiblichen Teil, den wir alle, Männer wie Frauen, in uns tragen". Sie möchte gerne die "Sleeping Lady" und damit das Weibliche in den Betrachtern wecken, sagt Martinez und bezieht sich damit auf die beeindruckend kleine neolithische Alabasterfigur. Diese "Schlafende" wurde im Hypogäum von Hal-Saflieni gefunden, einer mehr als 5000 Jahre alten unterirdischen Tempelanlage und UNESCO-Kulturerbe in Paola auf Malta. Heute ist ihr Schlafplatz im Archäologischen Nationalmuseum in Valletta. Und mit dem Weiblichen in uns, das es zu wecken gilt, meint Martinez etwa den achtsameren Umgang mit unserer Umwelt, die Verteidigung des Lebens — unter Zurückdrängen von Gewalt und der Idee der Eroberung und Kolonisierung anderer Völker. Eigenschaften, die sie dann ja wohl dem männlichen Part in uns zuordnet.

Es gibt gute Gründe, diese idealisierende Weiblich-Männlich-Dichotomie infrage zu stellen. Wenn man sich aber einmal auf sie und die Intention von Martinez unbefangen einlässt, findet man in dieser räumlich weitverzweigten Ausstellung leichter einen roten Faden.

Stickereien von Tania Berta Judith

Die in Malta gezeigten Werke von Tania Berta Judith bringen uns dieser Idee von dem weiblichen Element, das in uns geweckt werden soll, am nächsten. Schon die Technik, die sie für ihre Werke für Constellation Malta verwendet, wird traditionell als weiblich empfunden. Es sind ausnahmslos Stickereien. Im Archäologischen Museum hängt an der Wand eines Raumes, in dem auch die "Sleeping Lady" ausgestellt ist, ihr Werk "Woman Awake". Mit schwarzem Faden hat Judith den Grundriss von Hal-Saflieni auf ein Baumwolltuch gestickt und mit Goldstickerei jene Stelle im Grundriss flächig markiert, an der die "Schlafende" gefunden wurde.

Auch im zweiten Beitrag von Judith im Archäologischen Museum geht es um männlich/weiblich. Doch hier hat sie Ying und Yang ausbalanciert. Für "Named" hat sie mit schwarzem Faden auf weißem Baumwollstoff die Umrisse von Original-Figuren gestickt, die in den Vitrinen ausgestellt sind. Den Figuren ist gemeinsam, dass man sie keinem eindeutigen Geschlecht zuordnen kann. Judith hat ihnen daher jeweils fiktive Namen —wie Eden, Alai oder Neo — gegeben und auf den Stoff gestickt, die ebenfalls weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich sind. Damit stellt Judith die Forschheit infrage, mit der Archäologen, Historiker und Anthropologen nicht selten ideologisch geprägte Zuordnungen wagen. Womit sie den Finger in die Wunde legt. So wird die im Tempel von Tarxien gefundene und im Archäologischen Museum gezeigte Monumentalstatue, von der nur der ausladende, korpulente Unterleib erhalten ist, regelmäßig als Frauenfigur, als "Magna Mater" beschrieben, obwohl keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale zu sehen sind. Erst in jüngerer Zeit wird diese Zuordnung kritisch hinterfragt und eingeräumt, dass es sich ebenso gut um die Statue eines Mannes handeln könnte.

Mit den minimalistischen Umriss-Stickereien von "Named", von denen einige außer im Archäologischen Museum auch im Besucherzentrum des Ġgantija-Tempels auf Gozo zu sehen sind, nimmt sich Judith ganz zurück. Die Stoffe messen nur 11 x 15 cm. Die Figuren darauf sind kaum größer als ihre Visitenkarte, die sie daneben befestigt hat. Auffallender — etwa vier Quadratmeter groß — ist dagegen Judiths Werk „267 Grandmothers“. Eine Verbeugung vor ihren weiblichen Vorfahren und eine enorme Fleißarbeit dazu. Ihr Vater hat im Rahmen seiner genealogischen Forschungen die Namen von 267 Großmüttern der Familie aus der Zeit von etwa 1540 bis heute in Erfahrung gebracht. Judith hat die Namen dann mit schwarzem Faden auf ein weißes Bettlaken gestickt. Zu sehen ist 267 Grandmothers in der ta'Kola Windmühle in iix-Xagħra auf Gozo (dieses Werk lag nicht auf der Besuchsoute für dieses Journal).

Vom kleinen Faden zum raumfüllenden Gespinst: Chiharu Shiota

Wo Tania Bertha Judith mit dünnem schwarzem Faden stickt, knüpft die in Berlin lebende Japanerin Chiharu Shiota weiße, schwarze und rote Fäden zu Räume ausfüllenden Gespinsten, die meist an Gegenständen befestigt sind oder diese umhüllen. Mit ihrer Installation "Circulation" in einem Raum im Fort St. Elmo in Valletta wollte sie nach ihren eigenen Worten „einen Strudel von Energien" schaffen, der Erinnerungen und Energien aus der Vergangenheit mit denen der Gegenwart verbinden soll. Chiharu Shiota hat sich auch als Bühnenbildnerin einen Namen gemacht. So schuf sie das Bühnenbild zu Daniel Karaseks Inszenierung von Wagners Tristan und Isolde am Kieler Opernhaus.

Chiharu Shiota: "Circulation"

Chiharu Shiota: "Circulation"

Zum Meditieren einladend: Yoshitomo Nara und Kyung-Jin Cho

Wer einen der vier nicht sehr großen Räume betritt, die in dem weitläufigen Fort St. Elmo in Valletta der Kunstausstellung gewidmet sind, steht von einem Bild (Akryl auf Leinwand) eines Mädchens mit geschlossenen Augen und geschlossenem Mund. Es meditiert. Gemalt hat es Yoshitomo Nara. Der Japaner, der zeitweise in Köln gelebt und an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hat, will uns mit „Mindfulness in the Dark Woods" ebenfalls zum Meditieren einladen — über den Sinn des Lebens und die eigene Sicht auf die menschliche Existenz, wie wir der Programmbroschüre entnehmen.

Kyung-Jin Cho bringt uns mit „Swing Jam" in den Zustand der inneren Ruhe durch Bewegung und Klang. Die Klangschalen-Installation der in Schweden lebenden Südkoreanerin ist in der Kirche St. Mary Magdalene in Valletta zu erleben. Die Kirche aus dem 17. Jahrhundert gehörte zum später von Napoleon aufgelösten Magdalenen-Orden. Im zweiten Weltkrieg wurde sie heftig beschädigt, danach stand sie lange leer, wurde zeitweise als Unterstand für Karnevalswagen genutzt. Erst in jüngster Zeit wurde sie restauriert und 2015 wieder als Gotteshaus geweiht.

Kyung-Jin Cho: „Swing Jam"

Kyung-Jin Cho: „Swing Jam"

Forensische Architektur: Aufklärung von Unten nach Oben

Von einem anderen Schlag sind die Video-Installationen von Forensic Architecture, einer nicht-staatlichen Rechercheagentur an der Goldsmiths, University of London. Das interdisziplinäre Ermittlerteam (u. a. Architekten; Journalisten, Filmemacher) hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Informationsmonopol von Polizei und Militär in Krisengebieten aufzubrechen. Dazu extrahieren der israelische Autor und Architekt Eyal Weizman und seine Mitarbeiter alle nur denkbaren Informationen aus Bildern und Videos und erstellen dreidimensionale Simulationen. So haben sie schon Aufklärungsarbeit geleistet zu den Grausamkeiten des IS gegen die Jesiden und sind der Frage nachgegangen, ob es sein kann, dass ein anwesender ehemaliger Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bei der Ermordung von Halit Yozgat durch den NSU in einem Internetcafé in Kassel tatsächlich nichts mitbekommen hat.

Im Fort St. Elmo, das an den Grand Harbour von Valletta angrenzt, ist die Seenotrettung von Migranten im Mittelmeer das Thema. In einem der beiden Videos wird der Fall Iuventa neu aufgerollt. Das Schiff des deutschen Vereins Jugend rettet e. V. war nach einer Rettungsaktion im Mittelmeer von den italienischen Behörden beschlagnahmt worden. Gegen Crewmitglieder ermittelt nun die italienische Staatsanwaltschaft. Es geht dabei um den Vorwurf, die Besatzung der Iuventa habe bei einem Einsatz mit kriminellen Schleppern zusammengearbeitet. Die vorgebrachten Indizien für diese Behauptung sind ohnehin dünn. Forensic Architecture liefert nun akribisch zusammengestellte Gegenbeweise und kommt in dem Video zu dem Schluss, die behauptete Zusammenarbeit habe es nie gegeben.

Es hätte wohl kaum einen passenderen Ort geben können als das Fort in Nachbarschaft zum Großen Hafen von Valletta. Dort hatten die maltesischen Behörden das Seenotrettungsschiff "Lifeline" beschlagnahmt und monatelang festgehalten. Dem deutschen Kapitän des Schiffes, Claus-Peter Reisch, wird in Valletta noch immer der Prozess gemacht.

Forensic Architecture

Forensic Architecture

Neun Verszeilen von neun Gedichten in Stein gemeißelt: Austin Camilleri

Was der maltesische Künstler Austin Camilleri zu Constellation Malta beigesteuert hat, kann an neun Stellen über Malta, Gozo und Comino verteilt besichtigt werden, vorausgesetzt Wind und Regen haben es nicht schon unkenntlich gemacht. Diesem Risiko beugt Camilleri vor, indem er alles auf Fotos festgehalten hat, die im Fort St. Elmo ausgestellt werden. "Disgħa" heißt das Werk, das maltesische Wort für neun. Und darum geht es: Neun Verszeilen aus neun Werken von neun verschiedenen maltesischen Dichtern wurden in Stein gemeißelt. Steinbrüche, Felswände, Küstengestein, ja sogar Hochbaustellen sind die Schauplätze. Camilleri studierte in Malta und Perugia, lebt in Gozo und arbeitet in Malta, Italien und Belgien. Er arbeitet auch als Kurator, gestaltete Bücher und Bühnenbilder. Seine Werke wurden bereits in vielen Ländern ausgestellt.

Austin Camilleri: "Disgħa"

Austin Camilleri: "Disgħa"

Bunte Vögel: Fancy Poultry and Pigeon Club / Beichte an einen Esel: Marina Abramović

Maltas Naturkundemuseum "National Museum of Natural History" in Mdina ist untergebracht in dem barocken Palazz De Vilhena, der um 1725 unter Großmeister Antonio Manoel de Vilhena erbaut wurde - nach Plänen des französischen Architekten Charles François de Mondion. Unter den Briten wurde der Palast zum Krankenhaus und seit 1973 ist er Museum. Der außen prachtvolle, direkt hinter dem Haupttor von Mdina gelegene Palast wirkt innen nüchtern. Er beherbergt eine imposante naturkundliche Sammlung mit Schwerpunkt auf Flora, Fauna und Mineralogie der maltesischen Inseln. Das Museum wirkt freilich insgesamt etwas altbacken und von moderner multimedialer Museumsdidaktik noch weitgehend unberührt. In dieser Umgebung kommen die Porträts farbenfroher und stolzer Prachtexemplare aus der Geflügel- und Taubenzucht von Mitgliedern des Malta Fancy Poultry and Pigeon Club gut zur Geltung. Vorausgesetzt, man hat den einzigen Raum, der von Constellation Malta im Museum genutzt wird, gefunden. Für diese „7 Portraits" hat Nathaniel Scerri auf den Auslöser gedrückt.

Die weiteren Schauplätze von Constellation Malta (von Valletta | Das Journal nicht besucht):

Isla Arkaden, Senglea: „Readymades in Malta“

Besucherzentren der Tempel Ħaġar Qim & Mnajdra Visitor und Tarxien: Saskia Caldéron „Mater“

Krypta der Pfarrkirche St Catherine in Żejtun/Malta: Eulalia Valldosera „Resurrection“

Einen guten Überblick über die Kunstwerke und die Ausstellungsorte gibt — auch in deutscher Sprache — die Website Universes in Universe

Den Ausstellungsraum teilen sich die 7 Portraits mit der Video-Installation „Confession" der Performance-Künstlerin Marina Abramović, und der Kontrast zu den bunten Vögeln könnte größer nicht sein. Die Bildsprache des einstündigen Videos ohne Ton wirkt für sich genommen wie ein Sedativum: Marina Abramović von einem Esel kauernd, nahezu bewegungslos. Aufwühlend ist dagegen Abramovićs „Beichte" an das Tier, die der Betrachter in Laufschrift am unteren Bildrand mitverfolgen kann und in der die Künstlerin mit ihren eigenen Worten „alle Fehler und Irrtümer meines ganzen Lebens" bekennt. Die erzählten Anekdoten aus ihrer Jugend und Kindheit enthalten bereits den Ansatz der physischen Selbstverletzung und des physischen Aushaltens, die so charakteristisch für den kompromisslosen Köpereinsatz von Abramović bei den Performances zu Beginn ihrer Karriere in den 70er Jahren sind. Für die Erweckung einer „Sleeping Lady“ wäre etwa bei „Rhythm 0“ (1974) kein Raum geblieben. Ganz anders „The Artist Is Present“, 2010 im MoMA in New York: Marina Abramović drei Monate lang an jedem Museumsöffnungstag, insgesamt für 716 1/2 Stunden, still auf einem Stuhl sitzend und den Besuchern, die auf dem Stuhl ihr gegenüber nacheinander Platz genommen hatten in die Augen schauend. Viele Besucher waren überwältigt von dieser emotionalen Erfahrung. Da könnte außer der Künstlerin auch die Schlafende von Hal-Saflieni präsent gewesen sein. Und so passt auch die Performance-Künstlerin Marina Abramović in den von Rosa Martinez gedachten Kontext von Constellation Malta.