Gruppenausstellung "About Order"

Auf der Suche nach der Ordnung der Werke

Vom 5. Oktober bis 6. Dezember 2020 war im Spazju Kreattiv (im St. James Cavallier) in Valletta die Ausstellung „About Order“ zu sehen. Sie zeigte Werke der "Berliner Künstler*innen Gruppe" mit Sandra Contreras, Anette Kuhn, Sabine Linse, Mariel Poppe, Héctor Velázquez und María Tello. Wir werfen einen Rückblick auf die Ausstellung.

"About Order“, so erfahren wir in der Präsentation, „untersucht die kulturellen und kulturpolitischen Ordnungsbegriffe und ihre Dynamiken“. Die Inspiration dazu liefert Michel Foucaults Schrift „Les mots et les choses", die in der deutschen Ausgabe unter dem Titel „Die Ordnung der Dinge“ erschienen ist.

Außer der kunstphilosophischen Anregung, vor dem Hintergrund der Ausstellung über Ordnung und Ordnungsbegriffe nachzudenken, inspirierte „About Order“ den Betrachter auch noch zu einer pragmatischen, dafür aber nicht weniger reizvollen Frage: Wie schafft es eine Gruppe von fünf Künstlerinnen und einem Künstler, die so unterschiedliche Themen, Techniken und eingesetzte Materialen repräsentieren, gemeinsam mit der Kuratorin (Verena Voigt) eine Ausstellung so zu gestalten, dass jeder Ausstellungsraum für sich betrachtet am Ende als geordnet erscheint?

Beauty and Purpose. Im Hintergrund: (Ohne Titel) "Moosmadonna" (Fotografie) von Sabine Linse. Links: "Estado de Hidalgo" (Stickerei) von María Tello Gutiérrez. Mitte: „Implants“ (Latex) von Mariel Poppe. Rechts: „Blauregen“ (Grafit, Öl auf Schaumstoff) von Anette Kuhn. About Order, Installationsansicht, Spazju Kreattiv, 2020, Foto: Sabine Linse, Courtesy GFZK e.V.

Beauty and Purpose. Im Hintergrund: (Ohne Titel) "Moosmadonna" (Fotografie) von Sabine Linse. Links: "Estado de Hidalgo" (Stickerei) von María Tello Gutiérrez. Mitte: „Implants“ (Latex) von Mariel Poppe. Rechts: „Blauregen“ (Grafit, Öl auf Schaumstoff) von Anette Kuhn. About Order, Installationsansicht, Spazju Kreattiv, 2020, Foto: Sabine Linse, Courtesy GFZK e.V.

Bevor wir diese Frage weiterverfolgen, sei noch kurz angemerkt, dass man auch die radikal andere Auffassung vertreten kann, hier werde zusammengefügt, was nicht zusammenpasst. Auch aus dieser Perspektive bot die Ausstellung Gelegenheit für einen reizvollen Kunstgenuss: Schaffe Deine eigene Ordnung. Diese Gelegenheit ergab sich etwa bei einem Besuch der Online-Präsentation der Ausstellung auf der Website von Spazju Kreattiv (für viele wegen der Reiseeinschränkungen ohnehin das Mittel der Wahl, die Ausstellung zu erleben). Dort konnte man nicht nur in die Räume sehen und die Kunstwerke in ihrer Anordnung erleben. Weil jede Arbeit auch noch einmal separat auf der Website abgebildet ist, konnte sich der Betrachter seine eigene „Ordnung der Dinge“ bilden und die Exponate im Kopf umgruppieren. „Valletta | Das Journal“ musste sich auch auf einen nur virtuellen Ausstellungsbesuch beschränken, konnte sich aber durchaus mit der gefundenen Ordnung der Kunstwerke anfreunden. Daher zurück zur Ausgangsfrage: Wie ist der Gruppe gelungen, die Ordnung der Vielfalt herzustellen?

About Order, 16. Oktober – 6. Dezember 2020

Spazju Kreattiv, Space C, St. James Cavalier, Pjazza Kastilja, Valletta

Website: https://www.kreattivita.org/en/event/about-order/

Facebook: https://www.facebook.com/spazjukreattiv

About Order wurde gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa und der GFZK e.V. (Potsdam). Kuratiert wurde die Gruppenausstellung von Verena Voigt M.A., GFZK e.V. Die Ausstellung begleitete das Outreach Programm „Learn German Through Art“. Es wurde vom German-Maltese Circle / Goethe-Institut (Valletta) und der Frank-Basten-Stiftung (Leipzig) unterstützt. In deutscher Sprache angeboten, richtet sich Outreach an alle, die das Lernen der Sprache mit der Beschäftigung mit zeitgenössischer bildender Kunst vertiefen möchten.

Ein Teil des Erfolgsrezeptes war die Idee, sich fünf Ordnungsbegriffe aus Maltas Nationalem Kunstmuseum MUŻA auszuborgen. So wie das dem Spazju Kreattiv gegenüberliegende MUŻA, einen Teil seiner Sammlung (The Mediterranean Narratives) strukturiert hat, so sind auch die fünf Räume von „About Order“ betitelt: „Beauty and Purpose“, „Signs and Tales“, „Religion and Ritual“, „Gate of Europe“, „Mobility, Connections and Directions“.

Das wesentliche Erfolgsrezept ist jedoch die Gruppe selbst. Sandra Contreras, Anette Kuhn, Sabine Linse, Mariel Poppe, Héctor Velázquez und María Tello arbeiten zwar jede/r für sich und verfolgen ihre eigenen Themen, als Gruppe stehen sie aber schon über viele Jahre im Dialog. Die meisten kennen sich schon seit 1992, als sie noch studierten. Was die Gruppe für die einzelnen Mitglieder inzwischen geworden ist, konnte man bei einem Talk-Abend1 erfahren, der im Spazju stattfand und online übertragen wurde. So erwähnte etwa Mariel Poppe den großen Fundus an Kenntnis von der Arbeit des/r jeweils Anderen in der Gruppe. Der sei über die Jahre gewachsen, “wir sind heute dadurch viel schneller geworden und, wie ich glaube, auch viel besser“.

Dieses Wissen voneinander hilft der Berliner Künstler*innen Gruppe natürlich auch bei der Strukturierung ihrer Ausstellungen. Wobei die Ordnung der Kunstwerke oft im Kopf entwickelt wird und sich im Dialog vollzieht, manchmal jedoch auch ganz spontan und intuitiv. Dann steht eine Arbeit auch nur deshalb bei den anderen Arbeiten in einem Raum, weil sie jemand aus der Gruppe dorthin gestellt hat und die übrigen Gruppenmitglieder es passend finden.

Die Gruppe und ihre Arbeiten

Sandra Contreras (*1974, Mexiko-Stadt), verwendet keine Nähmaschine, sondern näht „von Hand“. Ihre Arbeiten kreisen um Themen wie Kosmos, die Lehren des Pythagoras, des Kopernikus oder die babylonische Astrologie. Eines ihrer Werke, die sie in Valletta zeigte, heißt „Time Traveller“. Der wandfüllende bestickte Stoffvorhang ist eine ihrer jüngsten Arbeiten (2020) und die mit den größten Ausmaßen. „Time Traveller“ präsentiert uns die Erde im Kosmos, aus der Perspektive der sie umkreisenden Satelliten und will zum Meditieren einladen. Wie Contreras bei der Veranstaltung im Spazju sagte, führt uns „Time Traveller" vor Augen, „dass die Erde nicht so groß ist, wie wir immer annehmen“. Die Zeitreise beschrieb sie so: „Ich wollte den Beginn der Entstehung des Kosmos, den Urknall mit dem Hier und Jetzt verbinden“. Das lasse uns über die Geschichte der Evolution nachdenken und über den menschlichen Fortschritt. „Es gibt uns die Möglichkeit, über die Zeit nachzudenken, in der wir jetzt leben“ und zu fragen „Was machen wir mit der Erde?“. Die Künstlerin spricht von der „post-humanen, der post-anthropogenen Periode“. Als Dystopie soll „Time Traveller“ gleichwohl nicht begriffen werden, denn Contreras deutet ein mögliches Reiseziel an, als Ausweg in Form einer „neuen Welt der Humanität“ (die es freilich noch zu schaffen gilt).

Religion and Ritual: Im Hintergrund "Time Traveller" (Vorhang aus besticktem Leinenstoff) von Sandra Contreras. Links: "Transformation, die sich im Wasser vollzogen hat, in das man eintauchen muss, bevor man auftauchen kann". von Anette Kuhn. Mitte: „TOUMANI TOPOGRÁFICO“ (Polyesterharz und Baumwollfaden) von Héctor Velázquez Guitérrez. About Order, Installationsansicht, Spazju Kreattiv, 2020, Foto: Sabine Linse, Courtesy GFZK e.V.

Religion and Ritual: Im Hintergrund "Time Traveller" (Vorhang aus besticktem Leinenstoff) von Sandra Contreras. Links: "Transformation, die sich im Wasser vollzogen hat, in das man eintauchen muss, bevor man auftauchen kann". von Anette Kuhn. Mitte: „TOUMANI TOPOGRÁFICO“ (Polyesterharz und Baumwollfaden) von Héctor Velázquez Guitérrez. About Order, Installationsansicht, Spazju Kreattiv, 2020, Foto: Sabine Linse, Courtesy GFZK e.V.

Die Arbeiten von Anette Kuhn (*1964, Würzburg) beginnen mit dem Zusammenstellen von Bildern am Computer. Ausgehend von der Fotografie und der Zeichnung wendet sie dann aber Techniken an, die Bilder haptisch machen. Kuhn nimmt dabei in Kauf, dass ihre Bilder den Betrachter „nervös“ machen. Und das passiert ihrer Beschreibung nach so: Der auf digitale Wahrnehmung von Bildern in Form großer Datenmengen trainierte Betrachter wird bei der analogen Begegnung mit einem einzelnen Bild nervös. „Unser Nervensystem erleidet und genießt zugleich die Simultaneität von Reizen, unsere Haptik die des Wischens glatter Oberflächen“.

Als Basismaterial verwendet Kuhn häufig Schaumstoff. Etwa bei der Arbeit mit dem Titel: „Transformation, die sich im Wasser vollzogen hat, in das man eintauchen muss, bevor man auftauchen kann.“: Diese Transformation hinterlässt eine eigenartige Maske als zentrales Bildmotiv. Sportfotografien sind ein wichtiger Teil des künstlerischen Bildarchivs, an dem Kuhn seit Jahren arbeitet. „Die fotografische Momentaufnahme von Turmspringern, die in das Wasser eintauchen, spiegelt Momente der Transzendenz und Auflösung von Individualität wider“, erfahren wir in der Ausstellungspräsentation.

Héctor Velázquez Gutiérrez (*1965, Mexiko-Stadt) sagt über sich: In meinen Arbeiten untersuche ich die physischen und emotionalen Beziehungen zwischen den geografischen Darstellungen von physischem Land oder topografischen Karten mit dem Körper, der Haut und dem Stoff, der ihn bedeckt. Durch den Gebrauch unterschiedlicher Materialien wie Stoff, Faden, Silber oder Porzellan, entstehen Arbeiten, die den Betrachter einladen, sich körperlich und emotional auf sie einzulassen.

So etwa bei den Fotografien TAMAULIPAS I und II. Sie verstören, wenn man den Hintergrund erfährt. Tamaulipas ist ein mexikanischer Bundestaat, in dem kriminelle Banden im Jahre 2020 ein Massaker verübt haben. Das erste Bild zeigt den Künstler in einem Quilt-Gewand vor einer ebenfalls gesteppten topografischen Darstellung von Tamaulipas. Das zweite Bild zeigt die gleiche Karte, aber gleichzeitig den Blur-Effekt, der durch langes Öffnen der Blende der analogen Kamera entstand.

Héctor Velázquez, Tamaulipas 1, New Edition, 2012, Digitalprint. In Kooperation mit Toumani Camera, ©Héctor Velázquez.

Héctor Velázquez, Tamaulipas 1, New Edition, 2012, Digitalprint. In Kooperation mit Toumani Camera, ©Héctor Velázquez.

Mariel Poppe (*1968) ist Bildhauerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin. In Valletta zeigt sie erstaunlich unterschiedliche Objekte mit sehr verschiedenen Materialien. Da sind einmal ihre „Poren“, in der Luft schwebende oder am Boden liegende aufgeblasene Objekte aus Latex, die durch Schläuche miteinander verbunden sind und an Organe oder Zellen erinnern.

Im Kontrast dazu stehen ihre Backsteinskulpturen, wie die 2020 entstandenen „7 Fake Towers“. Poppe verarbeitet hier gebrauchte Ziegelsteine und Modell-Ziegelsteine im Maßstab von 1:10 zu Architekturfantasien. Sie entstanden „im lustvollen Spiel mit architektonischen Stilmitteln, in Anspielung auf Ruinen, archäologische Fundstücke oder zivilisatorische Überbleibsel“, wie in der Ankündigung der Ausstellung zu lesen ist, „unter Missachtung von Statik, Schwerkraft und möglichen Realisierbarkeiten: Türme, die krumm und schief, perfekt unperfekt, manieristisch verspielt und bizarr surreal sind“.

Signs and Tales. Im Hintergrund: „Rites des Passage II: The Cave (short version)“ (Single Channel Video) von Sabine Linse. Im Vordergrund: "Self Portrait" (Polyesterharz) von Héctor Velázquez Gutiérrez sowie „Fake Towers“ (Modellbacksteine und Backsteine) von Mariel Poppe. About Order, Installationsansicht, Spazju Kreattiv, 2020, Foto: Sabine Linse, Courtesy GFZK e.V.

Signs and Tales. Im Hintergrund: „Rites des Passage II: The Cave (short version)“ (Single Channel Video) von Sabine Linse. Im Vordergrund: "Self Portrait" (Polyesterharz) von Héctor Velázquez Gutiérrez sowie „Fake Towers“ (Modellbacksteine und Backsteine) von Mariel Poppe. About Order, Installationsansicht, Spazju Kreattiv, 2020, Foto: Sabine Linse, Courtesy GFZK e.V.

Sabine Linse arbeitet auf den Gebieten Fotografie, Video, Aquarell, Zeichnung, Performance, Skulptur und Installationen. In Valletta konnte man unter anderem ihre skurrilen sieben “Mujeres” (Frauen) bestaunen und ihre „Moosmadonna“. Die Fotografien gehören zur Serie „Der Mensch erscheint im Holozän“. Die „Mujeres“ und die „Moosmadonna“ haben zumindest eines gemeinsam: Sie stehen auf ungewöhnlichem Untergrund. Bei Linses Madonna ist es, wie der Titel schon verrät, Moos. Bei den sieben Frauen sind es Kartoffeln. Trotz der natürlichen Materialien handelt es sich nicht um Landschaftsaufnahmen, sondern um fotografische Arrangements, die im Studio entstanden.

Und es ist die Werkstatt der Cranachs, die hier Pate stand. Die Künstlerin war, wie sie beim Talk im Spazju Kreattiv sagte, fasziniert von den Malern des Renaissance und insbesondere von jenen Bildern der beiden Cranachs, dem Jüngeren und dem Älteren, auf denen (überwiegend nackte) Frauen zu sehen sind, die auf steinigem Untergrund stehen. Die Bilder erinnerten sie an eine Person, die wie Menschen auf einem Planeten, auf der Erde stehen, aber auf der Erde als einer Scheibe. „Es sah weniger aus wie eine Darstellung der Natur, sondern eher wie in einem Fotostudio. Und ich habe diese Studioatmosphäre wieder aufgestellt“. So nahm sie für die Mujeres zunächst eine Serie unterschiedlicher Leute auf. Die Kartoffeln, auf denen die Mujeres in den Arrangements stehen, hat Linse schrumpfen lassen. „In diesem Prozess des Verfalls nahmen sie andere Formen an, wie jedes Lebewesen“. Bei der Moosmadonna ist es der christliche Mythos der einen weiteren Bezug zur Cranach-Werkstatt herstellt. Viele Frauen auf den Cranach-Gemälden entstammen christlichen oder auch griechischen Mythen.

María Tello Gutiérrez (*1957) lebt und arbeitet in Mexico City. In ihren künstlerischen Forschungen geht sie Phänomenen der Verletzlichkeit und Heilung nach. Bei dem Talk-Abend im Spazju Kreattiv konnte sie nicht anwesend sein. Deshalb übernahm es Anette Kuhn, in die Arbeit von Tello einzuführen: „Sie arbeitet schon seit mehr als 40 Jahren als Künstlerin. Alle ihre Werke nehmen ihren Anfang in ihren eigenen vier Wänden mit Dingen des täglichen Lebens, wie etwa ein Leinenfaden oder eine Pfanne. Sie verändert sie in kleine Objekte, die wirklich schwerelos erscheinen. Sie verarbeitet die Last des Alltags oder konfliktive Beziehungen zu anderen Personen in etwas, das kein Gewicht mehr hat. Deshalb ist ihr Werk so wichtig für uns; sie begleitet die Gruppe jetzt seit sechs Jahren.“ In Valletta sah man unter anderem ihr Objekt “Estómago” (Magen), eine Stickerei auf Baumwollstoff. Darüber lesen wir auf der Website des Spazju: Das Werk drückt eine innere Bewegung aus, visualisiert durch die Verknotung der Fäden. Für die Künstlerin ist der Magen ein Spiegel der Emotionen: Knoten und Knäuel, mögliche pathologische Tumoren. Die Bewegungen, die durch die kunstvolle Verknüpfung der feinen Fäden entstehen, scheinen Heilungskräfte zu enthalten, ein Wissen, das sie vor dem Vergessenwerden bewahren möchte.

1Veranstaltung des Spazju Kreattiv vom 16.10.20 im Rahmen der Talk-Serie „Art Additives“. Sie wurde live von der Website des Spazju Kreattiv übertragen. Mehr dazu finden Sie hier: https://www.facebook.com/spazjukreattiv/videos