Buch “50 Gründe, Gozo zu lieben“

Die Insel aus dem Blickwinkel ihrer Bewohner

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Ein Reisebuch über Gozo gewährt dem Leser außergewöhnlich intime Einblicke. Das gelingt, weil die aus dem Ausland zugezogene Autorin die Menschen in den Mittelpunkt ihres Inselporträts stellt.

Die Rede ist von 50 Gründe, Gozo zu lieben, das außer auf Deutsch auch in einer englischen Ausgabe (50 Reasons to Love Gozo) erschienen ist. Verfasst hat das „Lese- und Bilderbuch“ über die zweitgrößte Insel des maltesischen Archipels Gabriele Spiller (siehe Kasten am Ende des Artikels). Die deutsch-schweizerische Journalistin ist inzwischen selbst auf die Insel gezogen. Die Fotos stammen von Maggie Bajada (Jahrgang 1958). Sie wurde in Melbourne, Australien, als Kind gozitanischer Eltern geboren und lebt heute in Gozos Inselhauptstadt Victoria. Erschienen ist das Buch im Selbstverlag (Island Texts).

Gabriele Spiller
50 GRÜNDE, GOZO ZU LIEBEN

Ein Lese- und Bilderbuch
(mit Fotos von Maggie Bajada)
100 Seiten, Paperback

Alles Wissenswerte über die Bezugsmöglichkeiten der deutschen oder der englischen Version erfahren Sie in der Rubrik Bücher/Books auf der zweisprachigen Website der Autorin:

https://www.islandtexts.com

„50 Gründe …“ gehört zu einem Genre von gedruckten Reisebegleitern, das immer mehr Verbreitung findet: Sammlungen von in sich abgeschlossenen Artikeln im Feature-Stil über Besonderes einer bestimmten Region oder eines Landes. Sie werden hauptsächlich von Leuten gekauft, die schon den passenden klassischen strukturierten Reiseführer besitzen, ihr Wissen über ihr Reiseziel jedoch noch weiter vertiefen möchten. Genau diese Leserschaft spricht dieses Buch mit seinen 50 Artikeln und mehr als 70 Fotos an. Und es springt auch noch in die Bresche für die Verlage klassischer deutschsprachiger Reiseführer, die Gozo immer nur als weitaus kleineres Kapitel ihrer Maltaführer abhandeln und keine eigenständigen Gozo-Reiseführer im Programm haben. Im Vergleich zu anderen kleinen Mittelmeerinseln, wie etwa Elba, Menorca oder Ibiza, für die es separate Ausgaben gibt, hätte Gozo also allen Grund, sich vernachlässigt zu fühlen.

In „50 Gründe …“ geht es ausschließlich um Gozo, wenn man von einem Abschnitt über die noch kleinere, fast unbewohnte Insel Comino absieht. Und es sind vor allem die Menschen, die Gabriele Spiller in ihrem Buch vorstellt, die uns die Insel auf besondere Weise näherbringen. Etwa im Kapitel Essen und Trinken, wo wir die Betreiber einer kleinen Ravioli-Manufaktur kennenlernen oder den Pferdezüchter, der sich nebenbei auch noch Ziegen und Schafe hält und von der Herstellung des gozitanischen „Ġbejna“-Käses erzählt. Wir lernen den Italiener kennen, der das gozitanische Craft-Bier-Label Lord Chambray aufgebaut hat. Oder die Betreiber der Gleneagles Bar in Mġarr, ein ehemaliger Lampuki-Fischer und sein Bruder.

50 Gründe, Gozo zu lieben ist auch auf Englisch erschienen, unter dem Titel "50 Reasons to Love Gozo".

50 Gründe, Gozo zu lieben ist auch auf Englisch erschienen, unter dem Titel "50 Reasons to Love Gozo".

Schon mal die kilometerlangen Salzpfannen an der Nordküste der Insel bestaunt? Im Buch wird uns eine Salzbauern-Familie vorgestellt, die das mühselige Geschäft der Meersalzgewinnung noch betreibt. Wissenswertes über das UNESCO-Welterbe Ġgantija-Tempel erfahren wir unmittelbar aus einem Interview mit der Hauptkuratorin. Und es ist die leitende Kuratorin der Zitadelle in der Inselhauptstadt, die wir auf einem Spaziergang durch diese Anlage mit ihren über 4000 Jahren Geschichte begleiten können.

Auch wenn es um das kulturelle und religiöse Leben auf Gozo geht: Von den Krippenausstellungen oder dem Weihnachtsdorf Bethlehem f'Għajnsielem über den Karneval in Nadur und die Festa-Saison im Sommer mit ihren Feuerwerken und Band Marches bis zur Opern- und Festivalsaison im Herbst. Immer wieder lässt sich Gabriele Spiller auf die Menschen dahinter ein und stellt uns die Akteure vor, die zu dem an Ereignissen reichen Jahresablauf auf der Insel beitragen.

Über die Schulter geschaut: Krippenbauer Joseph Attard spricht über seine Arbeit. Foto:  © Maggie Bajada.

Über die Schulter geschaut: Krippenbauer Joseph Attard spricht über seine Arbeit. Foto: © Maggie Bajada.

Auch für sportlich aktive oder interessierte Leser hat die Autorin einige Beiträge verfasst. So beschreibt sie die Top Ten der schönsten Tauchreviere vor der Insel und interviewte eine Gozitanerin, die auf Gozo Fitnessstunden und Wanderungen anbietet.

Schon das Einführungskapitel Merħba (Willkommen) enthält Beiträge, die man in einem üblichen Reisebuch nicht erwartet. Wir erfahren etwas darüber, wie die „doppelte Insellage“, die Abhängigkeit von der Hauptinsel Malta, die Identität Gozos prägt. Auch mit dem gozitanischen Dialekt hat sich die Autorin beschäftigt, ein Malti, das noch stärker durch seine (siculo-)arabischen Wurzeln geprägt ist als die Hochsprache. Sogar rückgewanderten maltesischen Australien-Auswanderern hat Gabriele Spiller einen Beitrag gewidmet. Trotz der vielen Details ist auch die Einführung wie alle übrigen Kapitel kurzweilig gefasst. Selten beansprucht ein Artikel mehr als eineinhalb Seiten.

Ganz zu Anfang dürften einige gozoverliebte Facebook-Nutzer einen alten Bekannten entdecken: Das Buch startet mit einem Interview mit „Marku the Maltese from Gozo“, jener Kunstfigur, die ihre mehr als 20.000 Abonnenten auf Facebook regelmäßig von Australien aus mit Video-Episoden unterhält. Mark Andrew Tabone, der „Schöpfer“ von Marku, hat als Rückwanderer neun Jahre seiner Kindheit auf Gozo verbracht. Er ist mit einer Australierin verheiratet, lebt wieder in Australien, ist also, wenn man es genau nimmt, Wiederauswanderer.

Unser Tipp: "50 Gründe, Gozo zu lieben" bringt alle Voraussetzungen mit, dass der Leser sich bereits auf eine besondere Weise mit Maltas kleiner Schwesterinsel und ihren Bewohnern vertraut fühlt, noch bevor er zum ersten Mal den Fuß auf die Insel setzt. Auch, wer Gozo kennt, wird in dem Buch Neues entdecken oder Bekanntes aus einem anderen Blickwinkel neu erleben.

Gabriele Spiller. Foto:  © Maggie Bajada.

Gabriele Spiller. Foto: © Maggie Bajada.

EINE SCHWEIZERIN IN GĦAJNSIELEM. Gabriele Spiller (Jahrgang 1966) hat Gozo zum ersten Mal im Jahre 2016 besucht. Inzwischen hat sie sich in mit ihrem Mann auf der Insel in Għajnsielem niedergelassen. Dass sie auf Gozo heimisch geworden ist, darüber lässt ihr Reisebuch keinen Zweifel.

Doch ist die unweit des Fährhafens gelegene 3000-Einwohner-Gemeinde für die deutsch-schweizerische Journalistin kein Rückzugsort. Għajnsielem ist vielmehr zum Ausgangspunkt ihrer beruflichen Aktivitäten geworden, und die sind international ausgerichtet.

Ihre Artikel erscheinen überwiegend in Schweizer Tageszeitungen und internationalen Kunstzeitungen. Auch in englischsprachigen maltesischen Zeitungen und im „Malta Artpaper“ sind Artikel von ihr zu lesen. Und unter dem Label Island Texts bietet sie für ihre internationalen Kunden Dienstleistungen auf den Gebieten Journalismus, PR, Publishing und Art Education an.

Dass dies alles von einer Insel aus möglich ist, die keinen eigenen Passagierflughafen hat und die man nur per Fähre von der Hauptinsel erreichen kann, dürfte manchen selbständigen Kreativen und Kommunikativen mit ungestillter Inselsehnsucht Mut machen. Die Digitalisierung hilft offenbar nicht nur durch Lockdown und Pandemie. Sie macht auch solche Lebensentwürfe möglich.