Wenn es Nacht wird in Valletta
Auch wenn es sich noch nicht überall herumgesprochen hat: Valletta hat ein lebendiges Nachtleben. Und das ist vor allem der Metamorphose einer einst berüchtigten Straße zu verdanken.
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Valletta an einem Freitag. An diesem Abend bin ich mit der Fähre aus Sliema von der gegenüberfliegenden Seite des Marsamxett-Hafens in die Stadt gekommen. Wie die meisten touristischen Besucher der Hauptstadt wohne ich außerhalb in den Touristenzentren wie Sliema und St. Julians und verbringe dort auch die Abende. Ich habe mich diesmal anders entschieden und nach vielen Jahren mal wieder auch einen nächtlichen Bummel durch die Hauptstadt geplant, gut versorgt mit Vorschlägen von Einheimischen.
Touristen schätzen Valletta tagsüber als das einzigartige Gesamtkunstwerk, das die vom Malteserorden errichtete Barock- und Festungsstadt seit ihrer Gründung geblieben ist. Nachts aber erschien die Stadt den Besuchern über Jahrzehnte als ausgestorben, jedenfalls, wenn man mehr vorhatte, als ins Kino zu gehen und abgesehen von Abenden mit größeren Veranstaltungen. Diesmal bin ich neugierig auf das abendliche Valletta jenseits der Einkaufs- und Kulturmeile Republic Street, an der entlang die Hauptsehenswürdigkeiten wie eine Perlenkette aufgereiht sind.
Das andere Valletta beginnt in der Strait Street
Dieses andere Valletta beginnt in der parallel verlaufenden Strait Street. Sie war einst das Amüsierviertel der Stadt für die Seeleute mit unzähligen Nachtbars, Cabarets und Dance Halls und auch der Rotlichtbezirk der Stadt. Der Amüsierbetrieb endete schon Mitte des vorigen Jahrhunderts, als Malta nach dem zweiten Weltkrieg seine Bedeutung als britischer Marinestützpunkt einbüßte und spätestens als 1979, fünfzehn Jahre nach der Unabhängigkeit von Großbritannien die letzten britischen Truppen Malta verließen. In den letzten Jahren haben Gastronomen, Geschäftsleute und Architekten dieser Straße mit geradezu liebevollem Engagement als Ausgehmeile neues Leben eingehaucht, als sympathischen Ort eines ebenso gediegenen wie harmlosen Vergnügens. Die Stadtplaner haben klugerweise die verbliebenen Hinweise auf die ruchlose Vergangenheit der Straße nicht beseitigt, sondern restauriert und erkannt, dass auch sozialgeschichtliche Spuren erhaltenswert sind.
Vallettas schönstes Klo
Die Leute von der Valletta 2018 Foundation treiben es sogar noch weiter, in dem sie viele kulturelle Veranstaltungen, auch Klassik-Konzerte, in diese Straße verlegen und für das Projekt sogar den wenig schmeichelhaften Spitznamen verwenden, den ihr seinerzeit die Seeleute gegeben haben: The Gut. "Der Magen" wäre eine noch freundliche Übersetzung. Einige der in den letzten Jahren eröffneten Bars, Bistros und Restaurants tragen wieder die alten Namen wie das Tico Tico oder die Loop Bar. Sogar Marks & Spencer hat sich mit einer Dependance in der schmalen Straße angesiedelt. Hinter einem bescheidenen Eingang betritt man ein mehrstöckiges Kaufhaus. Einer der außergewöhnlichsten Beiträge zur Renaissance der Strait Street ist die 2010 eröffnete öffentliche Toilette, die in Rottönen gehalten von außen wie ein Cabaret gestaltet ist. Innen kassiert ein wie ein Barkeeper mit Anzugsweste und mit Fliege gekleideter Gentleman den Obolus für die Benutzung.
Die Glasfront präsentiert Dutzende Wörter, die wie Valletta mit dem Buchstaben „V“ beginnen. Eine Reminiszenz an Thomas Pynchons 1963 erschienenen Debut-Roman „V“. Das Buch führt den Leser zu vielen Rätseln und Schauplätzen und auf geniale Weise auch etwas an der Nase herum. Einige Schlüsselszenen spielen in Malta und eben auch in der Strait Street.
Tapas-Kleinod Yard 32
Mein gastronomisches Highlight in der Strait Street an diesem Abend ist die nach der Hausnummer benannte Gin- und Tapas-Bar Yard 32 (Ruhetag: Sonntag und Montag), im oberen Teil der Straße, wo sich nur wenige Bars befinden. Sie bietet ihren Gästen eine riesige Auswahl an Gin-Sorten, die mit Eis und Soda stilgerecht in Ballongläsern gereicht werden, sowie Tapas für jeden Geschmack, die man an der zur Straße geöffneten Theke aussucht. Man sitzt innen oder außen, wobei die Übergänge fließend sind. Wenn Livemusik angesagt ist, steht der Saxofonist schon mal in der offenen Tür. An die schmucklose Rückwand des gegenüberliegenden Gebäudes (der Justizpalast) werden Zeichentrickfilme projiziert. Die Bilder sind schemenhaft. War das Popeye? Der Seemann würde gut passen zur Strait Street. Die optische Gestaltung des Lokals ist im Stil der Verzierungen gehalten, wie man sie auf vielen Ginflaschen findet. Alles wirkt transparent und schwerelos.
Cafe Society
Auf der anderen Seite der Stadt hat sich das Cafe Society zu einem Künstlertreffpunkt entwickelt. Die Gründer der Cocktail-Bar im Treppenteil der St. John Street haben sich dem Electroswing verschrieben, häufig gibt es Livemusik. Das Cafe Society ist aber auch Treffpunkt für das jährliche Festival Triq-Cinemoon (frei übersetzt: Kinomond-Straße), das gute alte Open-Air-Kino. Nur intimer: Die Besucher sitzen auf den Treppenstufen der Straße (Valletta ist eine Stadt der Treppen) und schauen auf eine gar nicht so große Leinwand. Kurz vorher konnten sie über Facebook für den jeweiligen Abend den Film per Voting auswählen, aus drei Vorschlägen.
Open Air-Kino auf Treppenstufen
Das Festival-Plakat nennt keine Filmtitel, sondern verrät nur das Jahresmotto (2017 "In Time") und die davon abgeleiteten Unterthemen für die Filmabende, etwa Dinner Time, Borrowed Time oder Out of Time. Ein Freitagabend im Sommer ist nichts ohne einen Besuch bei einem Klassiker in Maltas Nachtleben, der Bridge Bar, weil dann (zwischen Mai und Ende Oktober) fast immer Jazz-Nights stattfinden.
Sie liegt im unteren Teil von Valletta, unweit des mächtigen Victoria Gates, das Valletta zum Hafen hin öffnet. Der Pup, in dem man sich die Getränke holt, ist klein. Deshalb wird die Bridge, Fußgängerbrücke, zur "Terrasse" mit einigen Tischen und Stühlen. Aber die meisten Jazz-Liebhaber findet man ohnehin auf den umliegenden Treppen, sie sitzen oder stehen mit dem Getränk in der Hand. Die Kulisse bildet eine Häuserschlucht mit roten und grünen Holzbalkonen oder Läden, die mehrstöckigen typisch Vallettaner Stadthäuser.
Die Herzlichkeit der Beltin erleben
Zurück im oberen Teil von Valletta. Beim Asti Guesthouse, einem klassischen "Bed & Breakfast", feiern in der mit bunten Luftballons dekorierten bogenförmigen Asti Brasserie eine werdende Mutter und ihre Freundinnen mit pinken Papierkränzen auf dem Kopf eine "Baby Shower". Die Torte ist ein wahres Kunstwerk. Die Tochter der Inhaberin des Asti hat das alles arrangiert. Die Feiernden winken mir freundlich zu. Ich werde draußen bei der Landlady Annie Galea mit Häppchen bewirtet. Am Ende des abendlichen Stadtbummels bin ich also doch noch bei den "Beltin" gelandet. So heißen die Bewohner Vallettas in der Landessprache Malti; Valletta nennen die Malteser nur "il-Belt", die Stadt.
Annie Galea, eine Dame in den Achtzigern, erzählt mir im angenehm singenden Englisch der Malteser die Geschichte des schon über 400 Jahre alten "Asti"-Hauses. Zu Zeiten der Malteserritter soll es ein Convent gewesen sein für die Nonnen der Kirche Our Lady of Victories, die sich in der Querstraße nur wenige Stufen oberhalb befindet. Es ist die erste Kirche, die in Valletta gebaut wurde. Stadtgründer Jean Parisot de la Valette hat die Fertigstellung nicht mehr erlebt, wurde erst dort begraben, bis seine Gebeine in die Konventkirche der Ritter, die St. Johns Co-Cathedral, überführt wurden. Einmal zeigt Frau Galea im Gespräch nach oben zum Balkon ihres Gästehauses, dessen Pfeiler mit Ornamenten kunstvoll verziert sind. Viele Leute sagt sie, nehmen diese Kostbarkeiten gar nicht war, weil sie immer nur nach unten oder stur vor sich hinschauen. Oder, denke ich mir, weil sie erst einmal die Hauptsehenswürdigkeiten "abarbeiten" müssen, bevor sie die anderen Seiten von Valletta kennenlernen - und die nächtlichen. Man sollte sich Zeit nehmen.